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Cannabis bei Querschnittlähmung

Der Einsatz von Cannabis bei Querschnittlähmung

Neben den Funktionsstörungen von Blase und Darm gehörten Spastik und chronische Schmerzen zu den häufigsten und meist belastenden Begleiterscheinungen bei Querschnittlähmung. Ein möglicher Therapieansatz ist die Behandlung mit Cannabis.

Wirkstoffe in Cannabis und ihre Wirkungen

Cannabis ist der wissenschaftliche Name für Hanf. Hanfgewächse (Cannabaceae) unterscheiden sich in ihrem Gehalt an Wirkstoffen, sodass einige Sorten ausschließlich zur Gewinnung von Hanffasern angebaut werden, während andere mit höherem Wirkstoffgehalt als Rauschmittel Verwendung finden.

Deren getrocknete Blüten und kleinen blütennahen Blätter sind als Marihuana, sogenanntes "Gras" bekannt, das extrahierte Harz der Pflanzen als Haschisch. Beides beeinflusst u. a. das "Zentralnervensystem" des Menschen und kann daher das Bewusstsein verändern, aber auch neurophysiologische Abläufe, wie z. B. die Steuerung von Bewegungen und Muskelspannung. Dafür verantwortlich sind zwei Wirkstoffe:


Tetrahydrocannabinol (THC)

Der Cannabisbestandteil, der "high" macht, ist THC. Er ist in Deutschland rezeptierfähig, d. h. er darf verschrieben werden, wenn dieselbe Wirkung mit anderen Stoffen nicht zu erreichen ist. THC passt in seiner Struktur an bestimmte Andockstellen von Nervenzellen (Rezeptoren), besonders im Bereich des Kleinhirns und der Basalganglien, wo Bewegungsabläufe und Feinmotorik gesteuert werden. An diese CB1-Rezeptoren docken normalerweise körpereigene ">Anandamide an und beeinflussen damit die Signalübertragung an den Synapsen.

Beide Stoffe haben auf diese Weise Einfluss auf das ">zentrale und ">periphere Nervensystem. Studien haben nachgewiesen, dass THC wie folgt wirken kann:

  • ">Antiemetisch
  • Appetitanregend
  • Entspannend bei Muskelkrämpfen
  • Schmerzlindernd

Cannabidiol (CBD)

CBD hat dieselbe chemische Formel wie THC, aber eine geringfügig andere Struktur. Seine Wirkweisen sind noch nicht umfassend erforscht, es scheint aber in Wechselwirkung mit THC zu stehen und dessen Wirkung zu unterdrücken und es bewirkt keine Rauschzustände. Studien haben nachgewiesen, dass CBD wie folgt wirken kann:

  • Angstlösend
  • Antibakteriell
  • Antiemetisch
  • Antikonvulsiv
  • Antipsychotisch
  • Appetitanregend
  • Bei Arteriosklerose
  • Bei Schuppenflechte
  • Blutzuckersenkend
  • Entkrampfend bei Magen-/Darmproblemen
  • Entspannend bei Muskelkrämpfen
  • Entzündungshemmend
  • Fördernd hinsichtlich Knochenwachstum
  • Lindernd bei einer Überreaktion des Immunsystems
  • Neuroprotektiv
  • Reduzierend beim Zellwachstum von Tumorzellen
  • Schmerzlindernd (DGSchmerzmedizin, 2019)

Wie Cannabis bei Querschnittlähmung helfen kann

Eine Studie aus dem Jahr 2012 hatte ergeben, dass im Tiermodell Cannabidiol die funktionelle Erholung des Bewegungsapparates verbessert und das Ausmaß der Verletzungen reduziert, was darauf hindeutet, dass es bei der Behandlung von Rückenmarksverletzungen nützlich sein könnte.

Weitere Studien zu einer entsprechenden Therapie stehen allerdings noch aus.

Ausführlicher hat sich die Forschung mit der Wirksamkeit von Cannabisbestandteilen bei der Behandlung von Folgeerkrankungen bei Querschnittlähmung beschäftigt. Bestätigt wurden Verbesserungen bei:

  • Schmerzen
  • Spastik
  • Schlaflosigkeit
  • Depressionen
  • (Teilweise) Blasenkontrolle

Die Einsatzerfolge unterscheiden sich je nach verwendetem Wirkstoff.

Studien haben nicht nur die schmerzstillenden Eigenschaften von Cannabidiol (CBD) nachgewiesen, sondern auch seine Fähigkeit, die Spastik bei Patienten mit Querschnittlähmung zu reduzieren.

Auch der medizinische Wert von Tetrahydrocannabinol (THC) bei der Behandlung bei Querschnittlähmung wurde belegt. Verschiedene Studien zeigen, dass THC viele Symptome wie Schmerzen, Spastik, Blasenkontrolle und Schlaflosigkeit verbessert (CCF, 2019).

Weitere Stimmen:

"Schon seit Längerem weiß man, dass das körpereigene Cannabinoid-System bei spastischen Störungen verändert ist, offenbar fehlt es an ">Endocannabinoiden. Mit den Inhaltsstoffen aus der Hanfpflanze lässt sich dieses Defizit wieder ausgleichen", beschreibt die Pharmazeutische Zeitung der Deutschen Apotheker in der Online-Version den Einsatz von Cannabis als Medikament (www.pharmazeutische-zeitung.de, 2019).

Auch die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente führt Studien an, die dem Hanf eine therapeutische Relevanz bestätigen. So seien in vielen Studien mit THC, ">Nabilon und Cannabis eine gute Beeinflussung der spinalen Spastik im Rahmen der ">Multiplen Sklerose und bei Querschnittserkrankungen beobachtet worden. Weitere günstig beeinflusste Symptome umfassten Schmerz, ">Parästhesien, Zittern und ">Ataxie. Einige Studien wiesen auch eine verbesserte Kontrolle der Blasenfunktion nach (IAC, 2019).

Der ">Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hingegen sah 2012 lediglich einen "geringen Zusatznutzen" für das Medikament Sativex (s. u.), ein Spray auf Cannabis-Basis (www.pharmazeutische-zeitung.de, 2019).

Mögliche Risiken beim Einsatz bei Querschnittlähmung

Bei der Verwendung von Cannabis (mit der Kombination der Wirkstoffe THC und CBD) kann es zu einer Beeinträchtigung des Gedächtnis, der Aufmerksamkeit, der Reaktionsfähigkeit sowie der Feinmotorik und der Bewegungskoordination kommen. Je nach konsumierter Menge können auch Herzfrequenzsteigerungen (20-50 %), eine Abnahme des Tränenflusses, ">konjunktivale Injektionen, Effekte auf das Hormonsystem, ein Blutdruckabfall (beim Aufsetzen) oder ein zu hoher Blutdruck (in aufrechter Position) sowie Mund- und Rachentrockenheit die Folge sein. Letzteres kann die Infektanfälligkeit der oberen Atemwege erhöhen, die vor allem bei einer Tetraplegie ohnehin schon gesteigert ist. Gegen die Herzkreislaufeffekte bildet sich meistens schnell eine Toleranz, mit der Folge, dass bei chronischem Konsum ggf. eine ">Bradykardie festgestellt werden kann (lecithol.de, 2019). Da diese andererseits aber auch ein Symptom einer"> autonomen Dysreflexie sein kann, ist Vorsicht geboten.

Eine Studie aus dem Jahr 2016 beschäftigte sich zudem mit dem Persönlichkeitsprofil von Menschen mit Querschnittlähmung, die Marihuana zu therapeutischen Zwecken verwenden.

Sie kommt zu dem Schluss, dass in den USA ein relativ großer Prozentsatz der Personen mit chronischer Querschnittlähmung Cannabis regelmäßig zu verwenden scheint. Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass diese Personen anfälliger für Komplikationen und Risikofaktoren (z. B. soziale Isolation) bei der Verwendung von rauschauslösenden Substanzen als Therapie bei Querschnittlähmung sein können.

Präparate auf Cannabis-Basis

  • Dronabinol
    Ein teilsynthetisch hergestellter Stoff, der in seiner Struktur mit dem THC identisch ist. In Deutschland kann er zur Herstellung eines Medikaments bei individueller Therapie als Rezepturarzneimittel genutzt werden.
  • Nabilon
    Nabilon wird vollständig künstlich hergestellt. Es ist in Deutschland verkehrsfähig und muss auf dem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden (Wikipedia, 2014).
  • Nabiximols
    Der Arzneistoff Nabiximols enthält standardisierte Gehalte von THC und CBD und ist im Produkt Sativex-Spray seit 2011 das erste in Deutschland zugelassene Medikament auf Cannabis-Basis. Das Spray kommt vorwiegend bei Multipler Sklerose mit mittelschwerer bis schwerer Spastik zum Einsatz. Allerdings zeige es längst nicht immer die erhoffte Wirkung und sei häufig mit Müdigkeit und Schwindel verbunden, schreibt die Pharmazeutische Zeitung online in Berufung auf Studien mit 572 Patienten, von denen 241 auf das Medikament ansprachen (www.pharmazeutische-zeitung.de, 2014). Haben Patienten auf andere antispastische Arzneimitteltherapien mit Präparaten wie Baclofen oder Tizanidin nicht angesprochen, könnte Sativex als Alternative infrage kommen. 
  • CBD-Öl
  • Cannabis oder CBD-Öl ist je nach Hersteller ohne Rezept frei verkäuflich

Cannabis auf Rezept

Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen haben die Möglichkeit Cannabis dauerhaft auf Kosten der Krankenversicherung verordnet zu bekommen, wenn der Wirkstoff Aussicht auf Linderung der Beschwerden oder Heilung bieten kann.

Für einen ausführlichen Beitrag zu rechtlichen Lage siehe: Cannabis als Arzneimittel