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Autismus und Cannabinoide

Autismus: kann medizinisches Cannabis helfen?

Autismus ist eine tief greifende neurologische Entwicklungsstörung. Experten sprechen häufig von der Autismus-Spektrum-Störung (ASS), weil es sich um verschiedene Ausprägungen einer Störung handelt. Cannabis als Medizin könnte eine Option sein, begleitende Symptome wie beispielsweise Schlafstörungen, Angstzustände oder Wutausbrüche zu lindern.

Was ist die Autismus-Spektrum-Störung?

Mediziner unterscheiden zwischen dem frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom), dem Asperger Syndrom und dem atypischen Autismus. Der Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) dient als Oberbegriff für die Bandbreite der autistischen Erkrankungen.


Alle tief greifenden Entwicklungsstörungen beginnen in der Kindheit und bestehen bis ins Erwachsenenalter. Die Ausprägung des Leidens kann allerdings sehr unterschiedlich sein. Die meisten Autisten haben schwere Beeinträchtigungen und benötigen ihr Leben lang Unterstützung und Hilfe. Manche können aber auch relativ unabhängig und selbstbestimmt leben.

Meist zeigen autistische Kinder Defizite in ihrer intellektuellen Entwicklung. Typisch ist aber auch eine besondere Begabung in einem Teilbereich, beispielsweise beim Klavierspielen oder in der Mathematik.

Die Hauptmerkmale von Autismus sind:

  • Beeinträchtigte soziale Interaktion
  • Gestörte Kommunikation
  • Repetitive und stereotype Interessen und Verhaltensmuster 

Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen

Menschen mit Autismus legen ein geringes Interesse an sozialen Kontakten sowie Handicaps im Umgang mit anderen Menschen an den Tag. Die Betroffenen neigen dazu, sich in sich selbst zurückzuziehen. Sie können soziale und emotionale Zeichen anderer nur schwer einschätzen. Außerdem haben sie selbst Schwierigkeiten, diese auszusenden. Daher sind ihre Reaktionen auf die Gefühle der Menschen in ihrem Umfeld häufig unangemessen - jedenfalls für das Empfinden der meisten anderen Personen. So erscheinen Autisten oft unnahbar.

Störung in der Kommunikation

Bei den Betroffenen sind die kommunikativen Fähigkeiten eingeschränkt. Sie zeigen Auffälligkeiten in der Sprache und Verzögerungen bei der Sprachentwicklung. Durch Besonderheiten bei der Anwendung von Sprache ist ein wechselseitiges Gespräch häufig nicht möglich. 50 Prozent der Personen mit frühkindlichem Autismus erwerben Sprache gar nicht.

Stereotype Verhaltensweisen

Die Interessen und die Aktivitäten von Menschen mit einer ASS sind ebenfalls eingeschränkt. Ihr Verhalten ist charakterisiert durch zwanghafte oder stereotype Verhaltensweisen. Das bedeutet, dass alltägliche Aufgaben nach einer starren Routine durchgeführt werden. Veränderungen dieser Handlungsabläufe können zu großen Problemen führen. Aber auch eine neue Dekoration im Wohnzimmer kann bei Autisten eine starke negative Reaktion hervorrufen. Teilweise kommen unkontrollierbare motorische Bewegungen hinzu wie Schaukeln oder Wedeln.

Weitere Einschränkungen und Begleiterkrankungen

Neben den genannten Störungen leiden Menschen mit Autismus häufig auch unter einer Reihe weiterer Begleitstörungen, wie beispielsweise Angstzuständen, Schlafstörungen, Epilepsie, Essstörungen, Aggressionen und selbstverletzendem Verhalten.

Ursachen von Autismus

Wieso Autismus entsteht, ist bis heute nicht geklärt - trotz umfangreicher Forschungsarbeiten. Einigkeit besteht in der Wissenschaft inzwischen aber darüber, dass die Störung nichts mit emotionaler Kälte der Eltern zu tun hat. Auch die Annahme, dass die MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) an der Entstehung des Autismus beteiligt sei, ist widerlegt.

Diese Erklärung geht auf eine Studie aus dem Jahr 1998 zurück, die 2010 allerdings offiziell zurückgezogen wurde.

Zudem "gibt es auch keinen Beweis dafür, dass irgendein anderer Impfstoff für Kinder das Risiko von ASS erhöhen könnte", erklärt die World Health Organisation (WHO). "Evidenzüberprüfungen des möglichen Zusammenhangs zwischen dem in inaktivierten Impfstoffen enthaltenen Konservierungsmittel Thiomersal und Aluminiumadjuvantien und dem ASS-Risiko kamen zu dem Schluss, dass Impfstoffe das Risiko von ASS nicht erhöhen".

Allen Autismusformen liegen neurobiologische Ursachen zugrunde. Dies sind beispielsweise genetische Faktoren, aber auch Hirnfunktionsstörungen oder Hirnschädigungen könnten eine Rolle spielen.

Darüber hinaus vermuten Experten, dass verschiedene Umwelteinflüsse, wie zum Beispiel eine Rötelninfektion während der Schwangerschaft, eine Rolle spielen.

Autismus: Therapie

Welche Therapie bei Kindern mit Autismus angewendet wird, hängt von der Autismusform und der Ausprägung der Störung ab. Generell ist es wichtig, dass die Behandlung im frühen Kindesalter beginnt. Heute nutzen Ärzte eine multimodale Therapie - zum Beispiel Verhaltenstherapie, Ergotherapie und Sprachtraining. Auch die Beratung und das Training der Eltern spielen eine große Rolle.

Bisher gibt es keine Therapie, die die Hauptsymptome der Autismus-Spektrum-Störung wirksam behandelt. Heute werden nur die Komorbiditäten therapiert - also die Krankheiten oder Störungen, die zusätzlich zum Autismus auftreten. So kommen zum Beispiel Antiepileptika bei Epilepsie zum Einsatz oder Antidepressiva bei Depressionen und Angstzuständen.

Helfen Cannabinoide bei der Autismus-Spektrum-Störung?

Das Endocannabinoid-System (ECS) in unserem Körper ist bei der Regulierung sozialer Reaktionen, Wahrnehmungen, Konzentration, Krampfanfällen, Körperbewegungen und vielem mehr beteiligt.

Da eine wirksame Behandlung der Kernsymptome des Autismus bisher fehlt, ist die Forschung zunehmend an Cannabinoiden interessiert. Hier liegt der Fokus vor allem auf Cannabidiol (CBD).

Cannabis könnte sowohl als Monotherapie wie auch als Zusatzbehandlung zum Einsatz kommen. Also sowohl in der Therapie der begleitenden Leiden wie auch in der Behandlung der Hauptsymptome des Autismus. Die Mechanismen, mit denen Cannabinoide das ECS modulieren, könnten hierfür der Schlüssel sein. [6]

Forscher haben im Jahr 2018 untersucht, welche Daten es überhaupt zum Thema Cannabinoide bei jungen Patienten mit ASS gibt.

Das Ergebnis ihrer Arbeit: 

"Cannabidiol scheint ein Kandidat für die Behandlung von ASS zu sein.

Gegenwärtig gibt es jedoch keine überzeugenden präklinischen oder klinischen Daten, die die Wirksamkeit und Sicherheit einer Cannabinoidbehandlung bei ASS-Patienten belegen."

CBD als Therapie zur Milderung der Symptome bei ASS

Es gibt also bisher noch nicht genügend Studien und Untersuchungen über die Wirkung von Cannabinoiden auf die Autismus-Spektrum-Störung. Somit ist weitere Forschung nötig, um hier die Zusammenhänge besser zu verstehen. Es zeigt sich aber, dass insbesondere CBD bei den Folgekrankheiten des Autismus - wie Schlafstörungen, Angstzuständen und Epilepsie - als Behandlung wirksam sein kann. 

Der israelische Mediziner Dr. Aran hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine Studie mit 60 Kindern, die an Autismus leiden, durchgeführt. Diese wurden mit Cannabidiol-reichem Cannabis behandelt.

Das Ergebnis: 

Bei 61 Prozent sind die Verhaltensausbrüche stark zurückgegangen. Auch bei der Angstproblematik und der Kommunikation zeigte das Cannabis-Medikament eine positive Wirkung. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen dagegen gehörten Schlafstörungen (14 Prozent), Reizbarkeit (9 Prozent) und Appetitlosigkeit (9 Prozent). 

Das Forscherteam zog aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass CBD eine vielversprechende Behandlungsoption für Verhaltensprobleme bei Kindern mit ASS ist.

Ein weiterer interessanter Aspekt dieser Studie: 

Nicht nur die Symptome verbesserten sich, sondern bei einigen Kindern konnte auch die Grundmedikation reduziert werden. 82 Prozent der Studienteilnehmenden wurden neben Cannabis gleichzeitig mit anderen Medikamenten behandelt, wie beispielsweise Antipsychotika, Stimmungsstabilisatoren oder Benzodiazepine.

Nach der Cannabisbehandlung erhielten 33 Prozent der Kinder weniger Medikamente oder eine niedrigere Dosis, 24 Prozent stellten die Einnahme von Medikamenten ganz ein und 8 Prozent erhielten mehr Medikamente oder eine höhere Dosis.

Eine andere Untersuchung unterstützt die positiven Hinweise auf die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei der Behandlung von Autismus: Wissenschaftler analysierten die Daten von 188 ASS-Patienten, die zwischen 2015 und 2017 mit medizinischem Cannabis behandelt wurden. Zum Einsatz kam bei der Mehrheit der Patienten Cannabisöl, das 30 % CBD und 1,5 % THC enthielt.

Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass medizinisches Cannabis bei Autismus-Patienten eine gut verträgliche, sichere und scheinbar wirksame Option zur Linderung der mit Autismus verbundenen Symptome zu sein scheint. Vor allem bei Anfällen, Tics, Depressionen, Unruhe und Wutanfällen könne Cannabis hilfreich sein. Insgesamt berichteten mehr als 80 Prozent der Eltern von einer signifikanten oder mäßigen Verbesserung des Gesamtzustandes des Kindes.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es beträchtliche Hinweise dafür gibt, dass medizinisches Cannabis bei der Behandlung der ASS-Symptomatik helfen kann.

Vor allem CBD-reiche Cannabis-Arzneimittel haben positive Resultate erzielt. Allerdings sind die Ergebnisse der Studien nicht eindeutig, denn nicht alle Untersuchungen zeigen bei den gleichen Symptomen Verbesserungen: "Die Studien ergaben gemischte und nicht schlüssige Ergebnisse hinsichtlich der Auswirkungen von Cannabis für alle Erkrankungen mit Ausnahme der Epilepsie."

Forscher betonen ebenfalls: Obwohl medizinisches Cannabis bei der Behandlung von ASS-Kernsymptomen vielversprechend zu sein scheint, sind evidenzbasierte Empfehlungen notwendig, um die Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten.

Wie genau Cannabinoide bei Autismus helfen, hat die Wissenschaft noch nicht belegen können. Daher ist es wichtig, mehr Forschung zu betreiben, um besser zu verstehen, welchen Effekt Cannabis auf ASS-Patienten hat.

Zurzeit wird in den USA eine placebokontrollierte Studie mit Cannabidivarin (CBDV) durchgeführt, die die Auswirkungen des nicht-psychoaktiven Cannabinoids auf Kinder und junge Menschen mit Autismus untersucht.

Die Ergebnisse dieser klinischen Studie werden mit Spannung erwartet.

THC bei Autismus - das wirksamere Cannabinoid

Israel gilt als ein Pionier in Sachen Hanfforschung. Schon früh begann das Land, spezielle Krankheiten und Alterserscheinungen mit Cannabisprodukten zu behandeln und sorgte global mit den Ergebnissen für Aufsehen. Ebenfalls stammt die Entdeckung des Wirkstoffs THC aus Israel, wo sich bereits in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts Dr. Raphael Mechoulam mit der chemischen Zusammensetzung von Marihuana auseinandersetzte.

Auch die Isolation von CBD geht auf das Konto des in Jerusalem arbeitenden Professors. Die von ihm betriebene Grundlagenforschung führte Jahrzehnte später dazu, dass viele Krankheiten mit Cannabinoiden erfolgreich behandelt werden können. Beispielsweise auch Autismus. Selbst bei Kindern kam bereits der nicht berauschende Wirkstoff Cannabidiol zum Einsatz und Eltern von unter Epilepsie leidenden Heranwachsenden schwören ebenfalls auf die Fähigkeiten von CBD.

Nun hat in Israel eine neue Forschungsreihe bezüglich Autismus aber überraschende Ergebnisse hervorgebracht, die die bisherigen Erkenntnisse ein wenig in Frage stellen und einen wissenschaftlichen Wendepunkt bedeuten könnten. Laut Forschern der Tel Aviv Universität scheint es nämlich so, als ob Tetrahydrocannabinol - also das berauschend wirkende THC - die effektivere Substanz im Kampf gegen Autismussymptome darstelle.

Mit Mäusen der Wahrheit hinterher

Es wird seitens der israelischen Wissenschaftler davon berichtet, dass autistische Mäuse geselliger werden und deren Zwangsstörungen verringert werden können, wenn man ihnen THC-haltige Cannabisprodukte verabreichen würde. Die Studie könne die Richtung aller Bemühungen bezüglich der Verwendung von Cannabis zur Behandlung der Störung ändern, sagen die Forscher. Die Ergebnisse würden darauf hindeuteten, dass derzeit nicht die richtige chemische Verbindung der Pflanze im Mittelpunkt stehe. Aktuell würden sich viele Patienten selbst mit CBD-Produkten behandeln und die wissenschaftlichen Untersuchungen konzentrierten sich in erster Linie ebenfalls auf das nicht berauschend wirkende Cannabinoid.

2019 zeigte eine ebenfalls in Israel durchgeführte Studie, dass die meisten Patienten mit CBD behandelt würden und damit positive Ergebnisse bezüglich der Eindämmung ihrer Krankheitssymptome erzielten. In der jetzt an einer großen Anzahl Mäusen durchgeführten Untersuchung kam aber ein anderes Bild zum Vorschein. Die Forscher gehen davon aus, dass THC weitaus wirksamer ist. Nicht nur die Symptome wären für das betroffene Individuum besser verträglich, sondern die Fähigkeiten, sozial zu agieren, würden auf diese Weise gesteigert.

THC bei Autismus effektiver

Die laufenden Studien hätten sich meist nicht genügend auf die Details konzentriert, was in Cannabis tatsächlich enthalten ist und was den Menschen helfen könne, erklärte die beteiligte Forscherin Shani Poleg gegenüber der Times of Israel. "In unserer Studie haben wir uns die Details angeschaut und sind zu überraschenden und interessanten Ergebnissen gekommen. Nachdem man CBD-Öl einsetzte, beschränkte man sich auf Öl, das überhaupt kein Cannabidiol, aber dafür geringe Mengen THC enthielt. Das Ergebnis: THC war wirksamer. Der Hauptunterschied bestand darin, dass die THC-Behandlung auch das Sozialverhalten verbesserte, nicht nur das repetitive, zwanghafte Verhalten, so Poleg.

Die Behandlung mit CBD half den Mäusen in der Studie vor allem bei der Bewältigung sich wiederholender, zwanghafter Verhaltensweisen. Shani Poleg sagte, dass THC zwar Rauschzustände hervorrufe, die Forschung aber darauf hindeute, dass die Menge der Verbindung, die benötigt würde, um Ergebnisse zu erzielen, ziemlich gering sei. Die Studie zeige, dass bei der Behandlung von Autismus mit medizinischem Cannabisöl weder hohe CBD- noch THC-Mengen erforderlich seien. Man habe bereits eine signifikante Verbesserung der Verhaltenstests nach der Behandlung mit Cannabisöl beobachten können, das nur geringe Mengen an THC enthielt. Auch stellte man keine langfristigen Auswirkungen bei kognitiven oder emotionalen Tests fest, die man eineinhalb Monate nach Beginn der Behandlung durchgeführt hatte.

Gute Gründe für THC-Behandlungen

Shani Poleg erläuterte dazu, warum THC-haltige Cannabisprodukte von Nutzen sein könnten. Die vorherrschende Theorie besagt, dass Autismus mit einer Übererregung des Gehirns einhergehe, die das zwanghafte Verhalten verursache würde. Im Labor konnte man aber zusätzlich zu den Verhaltensergebnissen eine signifikante Abnahme der Konzentration des erregenden Neurotransmitters Glutamat in der Rückenmarksflüssigkeit feststellen, was die Verringerung der Verhaltenssymptome erklären könnte.

Poleg betonte aber auch, dass es sich bei der von Prof. Daniel Offen geleiteten und kürzlich in der Zeitschrift Translational Psychology veröffentlichten Studie um eine vorläufige Studie handle, die noch nicht als Behandlungsempfehlung verstanden werden sollte. Sie wies auch noch darauf hin, dass die Mutation, die bei ihren Mäusen Autismus verursachte, Shank3, nur für eine kleine Minderheit der menschlichen Autismusfälle verantwortlich sei. Gerade einmal ein Prozent der Fälle sind auf diese Mutation zurückzuführen.

Man hoffe aber sehr, dass dies die weitere Erforschung bezüglich der Verwendung von medizinischem Cannabis bei Autismus fördere und somit zukünftig wirksameres Cannabis verwendet werden könne.

Die Forschungsgruppe arbeitet nun daran, die beste Zusammensetzung des Öls herauszufinden, um die positiven Auswirkungen zu maximieren.

Quelle :